Wie unterdessen vermutlich viele von euch wissen, ist uns die Inklusion von Mitarbeitern mit Handicap ein großes Anliegen. Wir haben mit Heiko Häesler gesprochen, seines Zeichens Schwerbehindertenvertreter (SBV) in Magdeburg. Er ist seit Sommer 2013 im Unternehmen und war selbst zwei Jahre Agent im technischen Service. Jetzt ist er davon für seine Tätigkeit als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender freigestellt. Das Amt als Schwerbehindertenvertreter hat er zusätzlich dazu übernommen.
Wie kamen Sie zu Ihrer Position als SBV?
Im Betriebsrat wurde initiiert, dass unsere Schwerbehinderten einen Vertreter bekommen sollen. Alle dem Unternehmen bekannten Schwerbehinderten und Gleichgestellten wurden eingeladen. Ich wurde vorgeschlagen, habe mich zur Wahl gestellt und bin gewählt worden. Ich habe das Amt gern übernommen, schließlich kann ich mich gut damit identifizieren, da ich selbst schwerbehindert bin. Meine Wirbelsäule war zweimal angebrochen nach einem Sturz aus vier Meter Höhe auf einen Stahlträger. Ich war damals Zimmermann und habe mit an dem neuen Flughafen in Hong Kong gearbeitet. Ich saß dann auch einige Zeit im Rollstuhl.
Ich kann dabei etwas lernen, ich kann anderen helfen, ist doch super.
Was sind die Schnittstellen mit Ihrer Arbeit im Betriebsrat?
Das ist sehr gut miteinander vereinbar. Es gibt zwar wenige Verknüpfungen zwischen dem Sozialgesetzbuch und dem Betriebsverfassungsgesetz. Das BGB gibt noch etwas her für die Schwerbehindertenarbeit, aber dafür muss man schon genau lesen. Ich nehme beispielsweise an den Sitzungen des Personalausschusses teil. Dabei habe ich die Pflichtquote an Schwerbehinderten im Unternehmen im Blick.
Was könnte man tun, um mehr schwerbehinderte Arbeitnehmer zu rekrutieren?
Wir haben zumindest in Magdeburg aktuell die Herausforderung, dass der Standort für Rollstuhlfahrer nicht gut geeignet ist. Es gibt keine entsprechenden Toiletten und die Aufzüge funktionieren oft nicht einwandfrei. Draußen neben der Treppe gibt es eine Rampe, die Rollstuhlfahrer benötigen um das Gebäude betreten zu können. Allerdings kann man diese nur mit einer Fernbedienung benutzen, und die ist weggeschlossen. Vermutlich muss dafür immer der Hausmeister angerufen werden. Wenn diese Rampe frei benutzbar wäre, wäre das schon eine große Hilfe. Aber hier beißt sich die Katze so ein bisschen in den Schwanz. Die eine Seite meint, dass die Quote erst erfüllt werden kann, wenn alle Rahmenbedingungen passen, sprich, wenn alles barrierefrei gestaltet wird. Die andere argumentiert, dass es keinen Sinn mache, so viel Geld zu investieren, wenn es doch gar keinen aktuellen Bedarf gebe, also derzeit niemand im Rollstuhl hier arbeitet.
Welche Hürden nehmen Sie noch wahr?
Wir haben zum Beispiel auch einen Kollegen, der braucht eine spezielle Tastatur, Maus und Stuhl. Das wird prinzipiell vom Rententräger finanziert. Der braucht wiederum ein Schreiben vom Arbeitgeber, dass er diese Geräte am Arbeitsplatz auch nutzen darf. Und da hängt noch viel mehr externe Bürokratie mit dran. Der Schwerbehinderte hat viele Wege zurückzulegen, ehe er bekommt, was ihm zusteht, weil es zig verschiedene Stellen gibt. Mal ist die eine zuständig, mal die andere. Darum ist es nicht selten, dass Menschen auf halbem Wege aufgeben. Es ist gut, dass wir dabei helfen können.
Wie schätzen Sie die Dunkelziffer an Schwerbehinderten ein, die unter unseren Mitarbeitern ist? Und worin liegt Ihrer Meinung nach die Ursache dafür?
Ich schätze sie ziemlich hoch ein, so 10-15%. Eine Ursache könnte zum Beispiel daran liegen, dass ich ein Mann bin und Frauen sich möglicherweise mir nicht anvertrauen. So eine Offenbarung gesundheitlicher Umstände ist doch sehr intim, da gibt es durch den Geschlechterunterschied noch mehr Berührungsängste. Ich versuche dem entgegenzuwirken, indem ich unter anderem auf Betriebsversammlungen darauf aufmerksam mache, dass ein sich als chronische Erkrankung entwickelnder Gesundheitszustand ein Grund für ein Gespräch mit uns, der Schwerbehindertenvertretung, sein könnte. Dabei verweise ich dann ganz explizit auch auf Jutta, meine Stellvertreterin, für die Frauen. Wichtig ist es, dass wir ins Gespräch kommen, dann können wir euch helfen, das ist da meine Botschaft.
Diese Einschätzung kommt nur aus Beobachtungen und aus der Krankenquote zustande, es könnte auch mehr sein. Scham ist dann auch noch so ein Grund. Man möchte nicht auffallen oder hat Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren.
Ist diese Angst vorm Verlust des Arbeitsplatzes denn begründet?
Nein, hier in unserem Unternehmen denke ich nicht. Es wird ja jeder gebraucht.
Leider führt aber der zeitweise übergroße Druck, der auf den Leuten lastet, dazu, dass der Egoismus immer größer wird. Da fehlt unter den Kollegen dann manchmal auch der Blick füreinander, die Rücksichtnahme, die vielleicht manchen dazu bewegen würde, sich doch zu offenbaren. So trivial es klingt, aber dann lassen Sie eben nicht den super teuren orthopädischen Stuhl hier stehen, weil sie fürchten müssen, dass wer anders in benutzt, bekleckert, verstellt… Gerade letzteres kann fatale Konsequenzen haben bei bestimmten Krankheiten.
Ich denke also, wenn mit dem real vorhandenen Druck menschlicher umgegangen würde, ließe sich über Ecken auch die Situation der (verdeckt und offiziell) behinderten Mitarbeiter entschärfen. Wenn der Gedankengang von Herrn Rieck, dem Geschäftsführer aller Marken in der Invitel Unternehmensgruppe, umgesetzt würde, und sich die Führungskräfte auch als Servicekräfte für ihre eigenen Mitarbeiter verstehen würden, wäre allen wirklich geholfen. Aber davon sind wir noch einigermaßen weit entfernt. Es muss noch mehr am Menschen gearbeitet werden, das ist wichtig. Es wird schon getan, aber es ist zähflüssig. Auch die Art der Umsetzung ist unterschiedliche von Führungskraft zu Führungskraft. So richtig ist manchmal einfach nicht klar, dass es sich um Menschen handelt, die hier arbeiten, nicht um reibungslos funktionierende Maschinen.
Haben Sie eine bestimmte Taktik, um mehr Menschen zur Anerkennung Ihres Handicaps zu bewegen?
Ja, ich bin viel auf der Fläche unterwegs und rede mit den Leuten, in allen beiden Funktionen, die ich hier innehabe. So merkwürdig das klingt, aber viele wissen gar nicht, dass sie schwerbehindert sind. Da gibt es auch einen ganz aktuellen Fall. Wir haben einen Kollegen, bei dem wurden Diabetes und eine Herzgefäßerkrankung festgestellt. Er muss also Insulin spritzen, und dafür drei- bis viermal am Tag messen. Früher war man dadurch automatisch schwerbehindert mit 50%, nun sind es noch 30%. Das genügt jedoch bereits für eine Gleichstellung. Ich erklärte ihm also, dass es rein theoretisch möglich wäre, ab einer bestimmten Anzahl von gleichgestellten Mitarbeitern mit der Geschäftsführung über eine Betriebsvereinbarung für Zusatzurlaub zu sprechen. Denn mehr Urlaub steht den behinderten Mitarbeitern erst ab 50% zu, aber je mehr gleichgestellte Mitarbeiter es gibt, desto größer ist der Spielraum, auch für sie etwas zu tun. Ich gehe ihm also tüchtig auf die Nerven, dass er doch endlich mal seinen Gleichstellungsantrag stellen soll. Denn selbst wenn die Diabeteserkrankung nur für 30% reicht, so kommen doch schnell noch ein paar Prozentpunkte oben drauf von anderen Erkrankungen, und schon sind wir bei 50% – und dann gibt es nicht nur mehr Urlaub, sondern zum Beispiel auch steuerliche Vorteile oder anderes.
Gerade Zuckererkrankungen sind tückisch, die werden manchmal erst nach Jahren, wenn sich Symptome an den Organen zeigen, erkannt. Deswegen gehe ich davon aus, dass es einige unerkannte (Schwer-)Behinderte mehr bei uns gibt.
Und, hat er seinen Antrag gestellt?
Es ist manchmal wirklich zäh, aber ich unterstütze, wo ich kann: Denk an die Verzichtserklärung für den Arzt, damit alle Ämter ihre Auskünfte bekommen können und so weiter und so fort. Und dennoch – schon das ist manchmal zu viel, und ich stoße an Grenzen. Menschen stehen sich oftmals selbst im Weg.
Haben Sie Hoffnung, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) helfen kann, mehr Menschen die Augen zu öffnen?
Meiner Ansicht nach steht und fällt diese Chance mit der Art und Weise, wie die BEM-Gespräche geführt werden. Hier liegt vielleicht schon Potenzial, aber es muss sensibel angegangen werden. Vielleicht würde ein Fragekatalog helfen, um bestimmte Sachen herauszufinden. Aber es ist ja alles eine freiwillige Angelegenheit, der Mitarbeiter muss nichts beantworten, was er nicht will. Deswegen würde es sehr viel Einfühlungsvermögen brauchen, denke ich. Aber prinzipiell könnte BEM hier schon helfen. Meine Stellvertreterin, Jutta Wegemann, ist im BEM-Team mit dabei, sie hatte die entsprechenden Schulungen. Das ist gut, sie wäre also bei einem solchen Gespräch mit dabei.
Jutta Wegemann: Ich hoffe und glaube schon, dass es uns als Team gelingt, ein so vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen zu den entsprechenden Mitarbeitern, dass sie sich öffnen. Und dass wir im Zweifel darauf hinarbeiten können, dass er oder sie den Antrag dann auch stellt.
In diesem Team ist der Integrationsbeauftragte meistens der Standortleiter. Dazu kommen im Magdeburger Fall zwei Mitglieder aus dem Betriebsrat und ein Ersatz. Sie alle setzen sich mit dem Mitarbeiter zusammen, der auch noch jemanden mitbringen kann. Aber in dieser Konstellation liegt auch eine Schwierigkeit, weil für den Moment ausgeblendet werden muss, dass der Standortleiter dabei ist. Er, bzw. sie ist nicht in dieser Rolle da, sondern als Integrationsbeauftragter. Ob es da gelingt, eine offene Atmosphäre herzustellen, hängt stark von der Persönlichkeit ab und muss im Einzelfall betrachtet werden. Wir sind gespannt.
Burkhard Rieck, Geschäftsführer aller Unternehmen in der Invitel Unternehmensgruppe, hat das Thema Inklusion auch ganz persönlich auf seiner Agenda. Wir waren neugierig und haben auch ihm ein paar Fragen gestellt, wie sich das ganze aus Unternehmensperspektive darstellt:
Herr Rieck, auch für Sie ist Inklusion ein Herzensthema. Wie ich aber feststellen konnte bei den bereits geführten Gesprächen mit Schwerbehindertenvertretern an unterschiedlichen Standorten, ist es kein ganz einfaches Thema. Gefühlt muss sich ein Unternehmen an einigen Stellen zwischen seinem Ideal und Wirtschaftlichkeit entscheiden. Ist das eine falsche Wahrnehmung?
Das Wichtigste an diesem ganzen Themenkomplex rund um Inklusion ist für mich, dass alle Menschen mit offenen Armen empfangen werden. Bei uns hat es schon von Beginn an Tradition, dass Menschen mit Behinderung beschäftigt werden, Rollstuhlfahrer, aber auch weniger offensichtlich gehandicapte Mitarbeiter. Schwierig wird es leider, da sich nicht alle öffnen und ihre Behinderung offiziell machen. Das ist in doppelter Hinsicht bedauerlich: einerseits können sie dadurch als Arbeitnehmer nicht so behandelt werden, wie es ihnen zusteht. Andererseits zahlen wir als Unternehmen ja auch eine Abgabe, wenn wir nicht der Quote entsprechend genügend Schwerbehinderte und Gleichgestellte beschäftigen und grundsätzlich wollen wir uns nicht „freikaufen“, sondern unsere gesellschaftliche Pflicht, so sehe ich persönlich Inklusion, erfüllen.
Inklusion ist damit auch ein ganz essentieller Bestandteil meiner Vision, „die Welt ein kleines Stück besser zu machen“, denn es geht darum, Menschen zu integrieren, die es anderweitig vielleicht schwerer haben. Darin können wir immer noch besser werden, aber unsere grundsätzliche Haltung zur Inklusion passt schon.
Was nun vielleicht notwendige Investitionen betrifft: Bei Neuanmietung achten wir darauf, dass die prinzipiell die notwendige behindertengerechte Struktur da ist. Der Rest ist dann in erster Regel eine Frage der Organisation. Wir scheuen keine Investitionen, die Sinn ergeben. Manchmal muss dafür der richtige Zeitpunkt kommen, das ist allerdings nicht anders, als bei allen anderen Investitionen auch.
Herr Häesler spricht ganz explizit die Rolle von Führungskräften an, die einen Beitrag zu einer toleranten, offenen Atmosphäre leisten sollten. Dabei fielen Schlagworte wie Druck, Rücksichtnahme oder auch Menschlichkeit. Was denken Sie: Verhindert unser Umgang untereinander, dass sich mehr Menschen zu ihrer Behinderung bekennen?
Allein die Fragestellung bedrückt mich schon. Das hoffe ich doch nicht, wir arbeiten grundsätzlich vorurteilsfrei – das ist meine Haltung und die Haltung meiner Geschäftsführungskollegen. Insofern gibt es schon viel positive Rückkopplung. In Braunschweig bspw. haben wir von der Behindertenvertretung bereits großes Lob für die Art und Weise bekommen, wie uns Integration gelingt. Gerade unsere behinderten Mitarbeiter fordern immer wieder, nicht ob ihrer Handicaps hervorgehoben zu werden und auf diese Weise in den Fokus zu geraten. Ich kann das verstehen und so sehe ich es sehr positiv, dass unsere behinderten Mitarbeiter sich, wie alle anderen Mitarbeiter auch, den manchmal nicht einfachen Herausforderungen stellen.
Sehen auch Sie in der Einführung des BEM eine Chance darauf, das Thema weiter voranzubringen und gleichzeitig auch die Quote von Mitarbeitern mit Handicap zu erhöhen? Was halten Sie von der Rollenverteilung in den BEM-Teams: Standortleiter als Integrationsbeauftragter? Liegen darin eher Chancen oder Risiken?
Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist für alle Beteiligten interessant, kann es doch davor schützen, zu schnell wieder vollständig in die Arbeit hineinzugehen. Da gibt es aus meiner Sicht keinen großen Unterschied zwischen Menschen mit oder ohne Behinderung. Es ist ein Eingliederungskonzept und bietet die Chance, nach einer gesundheitlich bedingten Zwangspause sanft wieder ins Arbeitsleben hereingeführt zu werden. Und ich denke, dass die Rollen gut verteilt sind im BEM-Team. Es gibt das ganz klare Signal: Gesundheit ist Chefsache!
Was glauben Sie, kann jeder ganz persönlich zu einer gelingenden Inklusion beitragen? Wie schätzen Sie dabei Ihre Rolle als Geschäftsführer ein?
Leider ist heutzutage zu bemerken, dass durch die Anonymität in den sozialen Netzwerken Kommunikation viel schwieriger wird. Scheinbar durch die Anonymität geschützt geben Menschen offen preis, was sie denken und was sie von bestimmten Dingen halten. „Die Maske fällt.“, so will ich das bezeichnen. Oft werden dann populistische und damit Beifall heischende Begründungen und Haltungen angesprochen, die wiederum Randgruppen, welch es auch sein mögen, ausgrenzen. Es entsteht eine „Ablehnungskultur“, die dazu führt, dass sich Menschen voneinander entfernen bis dahin, dass sich Menschen hassen, verletzen und töten.
Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Als Geschäftsführer und als Eigentümer dieser Unternehmensgruppe kann ich mithelfen, dass solchen Verhaltensweisen und Kommunikationsformen bei uns kein Vorschub geleistet wird.
Hier sei erneut meine Vision angesprochen, die Welt ein klein wenig besser zu machen: Abgrenzungen, Intoleranz und Angst zu erzeugen gehören ganz bestimmt nicht zu meinem Weg in diese Vision.
Menschlichkeit, Offenheit und Ehrlichkeit waren gestern wichtig, sind heute wichtig und werden auch morgen wichtig sein.
Genau deshalb sind diese drei Schlagworte, die für das Denkmodell dieser Unternehmensgruppe so elementar sind, die Kernaussagen unserer Unternehmensgruppenethik.